Sonntag, 17. Juni 2012

Social Day 2012 - Helfende Hände und viele Eindrücke

Freitag, 15. Juni 2012: Social Day - Klappe die zweite...
Ein Social Day, was das ist? Ganz einfach: für einen Tag tauschen alle 500 Mitarbeiter für einen Tag ihren Schreibtisch gegen einen Platz für die Unterstützung eines gemeinnützigen Projekts ein. Über 40 gemeinnützige Organisationen und Verbände wie die SOS Kinderdörfer, die Berliner Tafel, der Tierschutzverein und die Sozialhelden konnten sich in diesem Jahr über unsere Unterstützung freuen. Nachdem ich im letzten Jahr gefühlte 2 Tonnen Unkraut im Tierpark gezupft hatte, sollte es dieses Mal ein anderes Projekt sein. Jeder darf sich aussuchen, wo er gern helfen möchte. Meine Wahl fiel dieses Jahr auf die Berliner Stadtmission. Dort wollten wir fünf Bürostuhlakrobaten den netten Damen bei der Spendensortierung unterstützend und mit ganzer Tatkraft unter die Arme greifen.

Treff war 8:30 Uhr im Zentrum am Hauptbahnhof. Nachdem wir pünktlich auf die Minute ankamen, wurden wir zunächst vom Projektverantwortlichen begrüßt. Er hat uns gleich noch ein bisschen über die Stadtmission erzählt. Die Daten & Fakten möchte ich gar nicht wiederkäuen. Das kann jeder, den es wirklich interessiert, auf den verlinkten Seiten selbstständig nachlesen... Was für mich neu war, dass sie auch Wohnungsauflösungen oder Umzüge machen. Natürlich kostet das auch Geld, aber man kann gleichzeitig etwas Gutes tun.

Das sind allein die "Lumpensäcke"
dieses einen Tages...
Mich haben besonders die Geschichten um die Menschen, denen dort geholfen wird, berührt. Dass die Menschen sich freiwillig aussuchen, auf der Straße zu leben, weil sie vor ihrem "alten Leben" auf der Flucht sind, weil die Frau gestorben ist, weil sie ihren Job verloren haben, oder, oder, oder. Ein Bewohner des "Übergangshauses" hat wohl ganz bitterlich geweint, weil er durch das Leben in einer Wohnung erneut den Verlust seiner Frau gesprührt hat und neu verarbeiten musste... Im Übergangshaus leben überwiegend Personen, die straffällig waren und nach 10-15 Jahren Gefängnis wieder resozialisiert werden sollen. Stellt euch vor, was sich in 15 Jahren in einer Stadt wie Berlin verändert. Da kann man eigentlich nur überfordert sein. Außerdem hat man auch kein soziales Umfeld und das, was vielleicht noch übrig ist, ist meist jenes, in das die ehemaligen Inhaftierten nicht zurück sollen. 3-6 Monate leben sie in diesem Haus und werden dabei eng betreut. Sie müssen das eigenständige Leben erst wieder neu erlernen. Vielen ist wohl der Hartz-IV-Antrag so eine große Hürde. Nicht in erster Linie, weil sie nicht verstehen, wonach gefragt wird, sondern weil sie sich so nackig machen müssen. Für all solche Aufgaben gibt es fleißige Helferlein. Bei der Berliner Stadtmission ca. 700 Angestellte und ca. 600 ehrenamtliche. Traurig war auch die Geschichte eines Obdachlosen aus dem Grunewald, der dort im letzten Winter verstorben ist. Er hatte eigentlich schon Kontakt zum Sozialarbeiter der Stadtmission aufgenommen und sich überwunden, in eine Übergangswohnung zu ziehen. Doch sobald jemand sesshaft wird, flattern alte Rechnungen und andere unangenehme Briefe herein. Wenn man diese ignoriert, so wie es der besagte Wohnungslose tat, kann es schnell passieren, dass die Polizei wegen verhältnismäßig geringen Außenständen bei der BVG die Wohnungstür gewaltsam öffnet und einen in Untersuchungshaft bringt. Folglich gab der Mann auf und ging zurück in den Grunewald auf die Straße und überlebte den Winter nicht...

95 % der Wohnungslosen sind Alkoholkrank. Das haben wir uns alle schon gedacht. Aber die Zahl dann zu hören, ist wirklich erschreckend. Außerdem leidet etwa die Hälfte unter psychischen Erkrankungen. Weil es auch Alkoholiker gibt, die psychisch gar nicht so weit sind, einen Entzug durchzustehen, gibt es auch einen Wohnbereich für "nasse Alkoholiker". Ihnen wird unter dosierter Alkoholzuteilung beigebracht, wie ein normales Leben funktioniert. Es wird mit den Leuten geredet, etwas unternommen und ihnen gezeigt, dass eben nicht alles davon abhängt, wie man an die nächsten Euros kommt, um den nächsten Stoff zu besorgen.

Ein paar Fundstücke und Eindrücke...

Nach der Begrüßung, den ersten Facts und Stories sind wir dann in den Keller des "Übergangshauses" gegangen. Dort gibt es einen Empfangsbereich und wohl auch Polizeischutz, wenn ich das richtig verstanden habe. Nicht jeder, gerade diejenigen aus der Vergangenheit der Ex-Inhaftierten, darf dort ohne Weiteres ein- und ausgehen. Wir durften deshalb auch nur auf direktem Weg in den Fahrstuhl und den Keller. Dort angekommen warteten zwei Räume mit riesig großen Säcken voller Kleidung auf die Damen der Kleidersortierung und natürlich uns. Ran ans Werk, keine Zeit verlieren: die Klamotten aus den Säcken und Tüten nehmen, in die Taschen fassen, ob es da noch Geld gibt, das in die Spendenkasse kommt, oder Müll, der weg muss und blitzschnell entscheiden, in welchen der Säcke das entsprechende Stück gehört. Frühling, Sommer, Herbst und Winter - wie oft habe ich das heute gesagt. In der Reihenfolge standen die Säcke. Außerdem gab es welche für Unterwäsche, Socken, Decken, Handtücher, Bettzeug, einen Berg voller Sachen, die noch Second Hand verkauft werden können, eine Kiste mit Neuware und die Kategorie "Lumpen". Die Lumpensäcke werden weiter verkauft und zu fairen Konditionen - so sagte man uns - in Ländern verwertet, wo es den Menschen noch schlechter geht als hier, wo der Schuster aus den Schuhen für angemessenes Geld noch etwas retten kann. Die Arbeit ist körperlich echt anstrengend, dieses ständige Bücken und Heben der vollen Säcke. Als Büromensch ist man diese Bewegungen einfach nicht gewöhnt!
Lustig war, dass die Männer deutlich größere Schwierigkeiten mit der Zuordnung zu den Jahreszeiten hatten als wir Mädels. Nach und nach entwickelt man ein System und mit jedem Sack, den wir aus dem "Sortierraum" in der Raum der fertig befüllten und beschrifteten Säcke tragen konnten, wurde die Arbeit etwas leichter. Ein paar merkwürdige Dinge waren schon dabei, z.B. undefinierbare Stoffstücke, Blusen und Pullover, die gefühlte 100 Jahre alt waren oder Lebensmittel (was bitte haben die in einer Kleiderspende zu suchen?). Beim Sortieren merkt man erstmal, wie gut es einem geht. Bei dem Gedanken "ist nicht schön, aber für die Straße noch super geeignet" freut man sich, dass man in einen Laden gehen und Klamotten aussuchen kann, die einem gefallen und passen.


Es ist beeindruckend, was die drei Damen (zum Teil selbst schwer krank) und ihre zwei jungen männlichen Unterstützer dort jede Woche leisten. Jeden Mittwoch schuften sie dort im dunklen Keller. Ich ziehe meinen Hut vor allen ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitern der Berliner Stadtmission und bedanke mich für den herzlichen Empfang und die vielen Einblicke in eine Welt, die man sonst nur am Rande wahrnimmt.


Im Anschluss an den Social Day gab es das Sommerfest in unserer Lounge/Kantine, dem Innenhof und dem beinahe fertig umgebauten Foyer. Meine Lieblingspraktikantin sagte treffend "Das ist ja wie auf'm Rummel hier". Ein bisschen war es wirklich so. Ein Gewusel aus glücklichen Leuten und Kindern, Gute-Laune-Musik, Fußballübertragung, Grillfleisch, Maiskolben, Halumi, Hot Dogs, Softeis, Crêpes, Erdbeerbowle, Weiße, Bier, Softdrinks... eben alles, was das Herz begehrt. Bei einem spaßigen Abend in lockerer Familien-Fest-Atmosphäre ließen wir den Tag Revue passieren, tauschten uns über unsere Erfahrungen in den einzelnen Projekten aus und genossen den schönen Abend.


3 Kommentare:

  1. Erschreckend, wie man seinen eigenen Lebensstandard als so selbstverständlich hinnimmt... Ich finde gut, dass Immoscout diesen Social Day durchführt. Ein Schritt in die richtige Richtung!

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  2. Das ist wirklich eine tolle Idee. Anderen helfen und sehen, wie sie leben(müssen). Dann merkt man erst wieder, wie gut man es hat und wie schnell man auch alles verlieren kann. Ich glaube, man (und ich auch) vergisst allzu oft, dass hinter den Obdachlosen eine lange Vergangenheit liegt und viele oft schon für kleinste Hilfen dankbar sind.
    Dein Bericht hat mir sehr gut gefallen. :)

    Liebste Grüße

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    1. Vielen Dank - auch fürs Lesen. Ist ja schon recht lang geworden. Aber ich musste das alles loswerden. Hoffentlich denke ich in Zukunft einmal mehr daran, wie gut es mir eigentlich geht...

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